24. Mär 2021

Preisprüfungsrecht: Das «Einsichtsrecht» im neuen Beschaffungsrecht

Nils Sommer, Leiter Markt Infra Suisse, erläutert die Neuerungen und Eigenheiten.

Seit 1. Januar 2021 ist auf Bundesebene das neue Beschaffungsrecht in Kraft. Neben dem BöB erfuhr auch die gleichentags in Kraft getretene Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB) eine Totalrevision. Viele Bestimmungen der alten VöB wurden neu ins Gesetz integriert, nicht aber das ehemalige Einsichtsrecht. Dieses lebt in der neuen VöB in Art. 24 in Form einer Kann-Bestimmung weiter und heisst neu «Preisprüfung».

Bereits im Frühjahr 2020 informierte das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) im Rahmen einer Erläuterung über die wesentlichsten Grundzüge der Verordnungsrevision, darunter auch bezüglich des Preisprüfungsrechts. Mit der Richtlinie zur Preisprüfung bei Beschaffungen des Bundes vom
18. Dezember 2020 wendet sich das EFD nun noch an die dem Bundesbeschaffungsrecht unterstehenden Auftraggeberinnen auf Bundesebene. Neben Erläuterungen der wesentlichsten Eckpunkte, lassen sich im Anhang Mustertexte zur Vereinbarung des Preisprüfungsrechts entnehmen. Zugleich enthält die Richtlinie Empfehlungen für Ausnahmeregelungen und deren Formulierung. Die darin enthaltenen Informationen dürften aber nicht nur für die Vergabestellen, sondern auch für die Unternehmer von Interesse sein.

Neu im Ermessen des Bauherrn, ob eine Preisprüfung vereinbart werden soll

Während das Einsichtsrecht unter altem Recht bei gegebenen Voraussetzungen noch grundsätzlich Pflicht war, liegt der Entscheid nun im Ermessen des Bauherrn. Auch wenn die Vereinbarung eines Preisprüfungsrechts freiwillig ist, empfiehlt die Richtlinie, dass die Bauherren im Grundsatz entscheiden sollen, ob und in welchen Fällen mit den Unternehmern eine Preisprüfung zu vereinbaren ist – oder wann darauf zu verzichten ist. Da sich die Richtlinie aber auf Empfehlungen beschränkt, ist die konkrete Umsetzung durch die Vergabestellen nur schwer voraussehbar.

Preisprüfungsrecht nur, wenn der Auftragswert erreicht ist

Die Schwelle des bisher geltenden minimalen Auftragswerts (CHF 1 Mio., exkl. MwSt.) bleibt zwar unangetastet. Dennoch lässt das EFD im Sinne einer Ausnahmeregelung die Empfehlung verlauten, dass auch bei Vergaben mit einem Auftragswert von einer bis CHF 5 Mio. auf die Vereinbarung eines Preisprüfungsrechts verzichtet werden könne. Für die Bauwirtschaft macht die Implementierung dieser Empfehlung in der Praxis besonders Sinn, finden doch die Vergaben mit Auftragssummen in diesen Höhen und in der überwiegenden Anzahl auch unter Wettbewerbsbedingungen statt.

Preisprüfungsrecht nur bei fehlendem Wettbewerb

Fehlender Wettbewerb liegt nur dann vor, wenn der Bauherr einen Auftrag direkt und ohne Ausschreibung oder Einladungsverfahren an einen Unternehmer im Rahmen eines freihändigen Verfahrens vergibt. Es ist allerdings anzumerken, dass dies die Vergabestellen unter altem Recht teilweise abweichend gehandhabt haben: Ein Einsichtsrecht wurde immer auch dann vereinbart, wenn z.B. in einem offenen Verfahren nur ein einziges gültiges Angebot eingegangen oder nur ein einziges im Wettbewerb verblieben ist. Aus Gründen der Rechts- und Planungssicherheit ist auf diese Praxis aber künftig zu verzichten.

Umgekehrt heisst das, dass bei ausreichendem Wettbewerb in der Regel keine Preisprüfung vereinbart werden darf. Erwähnt wird namentlich der Fall einer öffentlichen Ausschreibung oder eines Einladungsverfahrens bei welcher/m nur ein gültiges Angebot eingetroffen ist.

Es kann allerdings auch in weiteren Fällen auf das Preisprüfungsrecht verzichtet werden. Ein Verzicht wäre gemäss EFD etwa dann angezeigt, wenn vergleichbare Folgeaufträge (Art. 21 Abs. 2 lit. e BöB) zu einem ursprünglich unter Wettbewerbsbedingungen zugeschlagenen Grundvertrag vergeben werden sollen. Dasselbe soll bei Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen durch den Unternehmer gelten.

Wer kann Einsicht nehmen?

Bei gegebenen Voraussetzungen steht das Prüfungsrecht der Eidgenössischen Finanzkontrolle oder einer internen Revision (z.B. interne Prüfstelle des ASTRA oder der SBB) zu.

Wie wird geprüft?

Überprüft wird, ob der Unternehmer Kosten, Risiken und/oder Gewinnmargen einkalkuliert hat, die er bei gleichen oder ähnlichen Leistungen und Wettbewerbsbedingungen nicht realisieren könnte. Branchenübliche Gewinne bleiben unangetastet.

Wann kann überhaupt geprüft werden?

Ohne vertragliche Vereinbarung keine Preisprüfung. D.h. sowohl die Modalitäten, der Gegenstand und Umfang der Preisprüfung als auch die Durchführung und die allfällige Preisreduktion als Folge der Preisprüfung sind zu vereinbaren. Mitumfasst sind im Übrigen auch allfällige Subunternehmer, denen die Preisprüfung ebenfalls überbunden werden muss. Voraussetzung ist allerdings, dass diese einen wesentlichen Anteil der gesamten Leistung erbringen.

Mit welchem Ergebnis hat der Unternehmer nach Abschluss einer Preisprüfung zu rechnen?

Die Preisprüfung kann zu zwei Ergebnissen führen: Entweder ergibt sich ein tieferer als der im Vertrag vereinbarte Preis und somit das Bedürfnis einer Preisanpassung oder es wird kein Bedarf für eine Preisanpassung festgestellt. Während der erste Fall trotz bestehender vertraglicher Vereinbarung zu einer Preisreduktion (eine Preiserhöhung findet im Übrigen nicht statt) führt, bleibt beim zweiten alles beim Alten.

Vertraulichkeit

Sämtliche Informationen und Unterlagen sind durch die Preisprüfstelle vertraulich zu behandeln und sicher aufbewahren. Der Bauherr erhält dabei nur die für eine allfällige Preisanpassung erforderlichen Informationen.

Diese Publikation wird freundlicherweise von Infra Suisse zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen finden Sie hier.